Immer wieder schränken Gerichte derzeit Donald Trumps absoluten Machtwillen ein. Der Präsident und seine Anhänger fordern deshalb die Amtsenthebung von «radikalen Richtern». Der Vorsitzende des Supreme Court ermahnt Trump und gerät selbst in die Kritik.

Der Bundesbezirksrichter James Boasberg hat sich mit seiner Verfügung zur Zielscheibe des Präsidenten und seiner Anhänger gemacht.
Bloomberg/Getty
Donald Trump ist derzeit sehr verärgert über die Gerichte. Diese Woche beschimpfte er bei seinem Kurznachrichtendienst Truth Social den Bundesbezirksrichter James Boasberg als «radikalen linken Wahnsinnigen, Unruhestifter und Agitator». Der Richter müsse seines Amtes enthoben werden. Ein Impeachment hätte im Kongress kaum Erfolg, aber allein der Ruf danach durch einen Präsidenten ist irritierend.
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Boasberg hatte am Samstag eine einstweilige Verfügung gegen die Ausschaffung von Migranten unter der Alien Enemies Act erlassen. Trump hatte dieses Kriegsgesetz aus dem Jahr 1798 am Freitag aktiviert, um angebliche Mitglieder der venezolanischen Gang Tren de Aragua ohne Einspracherecht nach El Salvador abschieben zu können. Boasberg forderte, dass auch bereits gestartete Flugzeuge mit Migranten an Bord wieder umdrehen müssten. Doch die Regierung setzte sich über diese Anweisung hinweg.
Rüge des obersten Richters bleibt wirkungslos
Trump rechtfertigte das Vorgehen mit seinem Wahlsieg. Die Migration sei das wichtigste Thema im Wahlkampf gewesen und er habe vom Volk ein «überwältigendes Mandat» erhalten, schrieb der Präsident in seinem Post. Er tue nur, was die Wähler wollten. Boasberg sei nicht zum Präsidenten gewählt, sondern «traurigerweise von Barack Hussein Obama» ernannt worden. Seinen demokratischen Amtsvorgänger dürfte Trump dabei nicht zufällig mit seinem nahöstlichen Zweitnamen erwähnt haben – vermutlich, um rassistische Ressentiments in seiner Wählerbasis zu bedienen.
Es war nicht das erste Mal, dass Trump seit seinem Amtsantritt die Legitimität eines Gerichts infrage stellte. Doch diese jüngste Tirade ging nun auch John Roberts – dem obersten Richter der USA – zu weit. Der vom republikanischen Präsidenten George W. Bush ernannte Vorsitzende des Supreme Court schrieb in einer ungewöhnlichen Stellungnahme: «Seit über zweihundert Jahren gilt, dass ein Amtsenthebungsverfahren keine angemessene Antwort auf ein umstrittenes Gerichtsurteil ist.» Zu diesem Zweck diene das normale Berufungsverfahren.
Trump liess sich davon jedoch nicht beeindrucken. In einem neuen Post auf Truth Social legte er am Mittwochmorgen nach: «Wenn ein Präsident nicht das Recht hat, Mörder und Kriminelle aus dem Land zu werfen, weil ein radikaler linker, wahnsinniger Richter die Rolle des Präsidenten übernehmen will, ist unser Land in grossen Schwierigkeiten, es ist zum Scheitern verurteilt.» Der Präsident blendet dabei indes die prinzipielle Frage aus, um die es auch dem Richter Boasberg geht. Zur Diskussion steht nicht, ob ein Präsident kriminelle Ausländer ausschaffen kann, sondern wie er dies vollziehen darf.
Die Alien Enemies Act könne nur in Kriegszeiten angewendet werden, erklärte die Rechtsexpertin Katherine Yon Ebright gegenüber dem Fernsehsender CBS. Die Anwendung des Gesetzes in Friedenszeiten sei ein Versuch, das verfassungsmässige Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren auszuhebeln. «Dieses Recht gilt auch für Ausländer.» Wenn Personen nach Belieben der Regierung verhaftet oder ausgeschafft werden könnten, habe dies gravierende Folgen, sagte der Rechtsprofessor Jamal Greene der «New York Times». Der Präsident erlange dadurch praktisch eine «diktatorische Macht».
Bollwerk gegen einen ungezügelten Machtanspruch
Trumps zunehmende Ungeduld mit den Gerichten ist derweil nicht überraschend. Der amerikanische Präsident verfügt derzeit über eine grosse Machtfülle. Seine Republikanische Partei besitzt in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit. Das allein ist nicht ungewöhnlich, sondern oft die Regel nach einer Präsidentschaftswahl in den USA. Sehr ungewöhnlich ist hingegen Trumps Auffassung, dass er sich bei seiner Machtausübung kaum an Gesetze halten muss und ihn die eigene Partei darin fast geschlossen unterstützt. Kürzlich meinte er: «Wer sein Land rettet, verletzt kein Gesetz.» Das Zitat soll von Napoleon stammen.
Weil es bis jetzt auch keine grossen Strassenproteste gegen Trumps radikalen Staatsabbau, seine kompromisslose Migrationspolitik, seine Annexionsgelüste gegenüber Kanada oder seinen Schmusekurs mit dem russischen Diktator Wladimir Putin gibt, sind die Gerichte derzeit fast das einzige Bollwerk gegen den ungezügelten Machtanspruch des Präsidenten. Und der Richter Boasberg ist bei weitem nicht der Einzige, der die Regierung in den vergangenen Wochen in die Schranken wies.
Jüngst erlitt Trump eine ganze Reihe von gerichtlichen Niederlagen. Die weitgehende Zerschlagung der amerikanischen Behörde für Entwicklungshilfe USAID ohne Rücksprache mit dem Kongress habe vermutlich gegen die Verfassung verstossen, urteilte der Bundesbezirksrichter Theodore Chuang am Dienstag. Er forderte, dass Funktionen der Behörde teilweise wiederhergestellt werden.
Am gleichen Tag blockierte eine andere Richterin den von Trump angeordneten Ausschluss von Transgender-Personen aus der Armee. Die Verordnung des Präsidenten verletze wahrscheinlich die verfassungsmässigen Grundrechte der Betroffenen. In einem dritten Urteil am Dienstag hinderte die Richterin Tanya Chutkan die Umweltbehörde vorerst daran, bereits vergebene Fördergelder für 14 Milliarden Dollar zurückzunehmen. Das Geld wurde unter der Biden-Regierung für grüne Klimaprojekte bestimmt.
Der Supreme Court wird am Ende viele dieser Rechtsfragen entscheiden müssen. Bis jetzt beteuern Trump und seine Mitstreiter, dass sie sich an die Urteile des Obersten Gerichts halten werden. Sechs der insgesamt neun Richter wurden von republikanischen Präsidenten ernannt. An ihrer Legitimität und Integrität wagte der Präsident bisher nicht zu zweifeln. Seine Anhänger üben mit einer Kampagne im Internet jedoch bereits Druck auf Roberts und die von Trump selbst ernannte Richterin Amy Coney Barrett aus.
Der Supreme Court entschied kürzlich, dass die Regierung eingefrorene USAID-Gelder für bereits geleistete Arbeit auszahlen muss. Dies war nur möglich, weil Roberts und Barrett mit den drei progressiven Richtern stimmten. Die beiden konservativen Richter seien «Schwächlinge» gewesen, erklärte der Trump-nahe Aktivist Mike Davis nun in einem Podcast mit dem früheren Trump-Berater Steve Bannon. Roberts und Barrett hätten aus Angst «ihren Job nicht gemacht» und dadurch «aktivistische Richter» wie Boasberg ermutigt.
Die Einschüchterungsversuche gehen aber noch weiter. Kürzlich erhielt eine Schwester von Barrett eine anonyme Bombendrohung. Ein Sprengsatz befinde sich in ihrem Briefkasten, hiess es in der Email. Dies bewahrheitete sich nicht, aber ein ungutes Gefühl bleib vermutlich trotzdem zurück. Mitglieder der Barrett-Familie und auch andere Richter in den USA erhielten zudem Pizzas zugestellt. Gemäss der Polizei soll dieses Vorgehen den Empfängern signalisieren: «Wir wissen, wo ihr wohnt.»
Auch der ehemalige Bundesrichter John Jones zeigt sich besorgt über die Drohungen und Tiraden gegen seine aktiven Berufskollegen. Er sagte kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: «Wenn wir nicht aufpassen, werden Richter getötet.» Die Bundesrichterin Esther Salas verlor ihren Sohn wegen ihrer Arbeit. Er wurde 2020 in ihrem Haus erschossen. Nun sagte sie am Mittwoch der «New York Times»: «Ich habe das Gefühl, die Leute spielen russisches Roulette mit unseren Leben.»