Im Parlament wird über Anpassungen am Kartellgesetz gestritten. Eine Reform ist sinnvoll: Sie schützt vor allem kleine Firmen besser vor dem Übereifer der Behörden.
In der Schweizer Wirtschaft und in Bundesbern läuft eine emotionale Debatte. Sie dreht sich um die Reform des Kartellgesetzes – also des Regelwerks, das einen wirksamen Wettbewerb in der Schweizer Wirtschaft sicherstellen soll. Als Nächstes nimmt sich kommende Woche die Wirtschaftskommission des Nationalrats des Geschäfts an. Es ist eine Gelegenheit, die Weichen richtig zu stellen.
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Bis jetzt sind die parlamentarischen Beratungen unglücklich verlaufen. Der Ständerat hat jüngst entschieden, dass in den umstrittenen Punkten alles beim Alten bleiben soll – und hat dann doch einige willkürlich anmutende Ausnahmen eingebaut. Das ist keine gute Lösung. Der Nationalrat sollte den Entscheid korrigieren.
Umstrittenes Urteil des Bundesgerichts
Die Reformbestrebungen – und auch die Emotionen – gehen auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahr 2016 zurück. Es ging darin um den Verkauf von Elmex-Zahnpasta. In den Augen vieler Beobachter hat das Bundesgericht damals die Auslegung des Kartellgesetzes in einer Weise verschärft, die der Gesetzgeber so nicht gewollt hatte.
Das Gericht urteilte, dass sogenannte harte Abreden zwischen Firmen immer als «erheblich» einzustufen seien. Das heisst, dass die Wettbewerbskommission (Weko) und die Gerichte nicht mehr prüfen müssen, ob eine Abrede zwischen Firmen dem Wettbewerb tatsächlich schadet – und in letzter Konsequenz den Konsumenten. Damit setzte sich eine formaljuristische Sicht durch. Harte Abreden sind verboten, unabhängig von ihrer Wirkung.
Seither ist die Fachwelt in zwei Lager gespalten. Die meisten Juristen finden die Stossrichtung des Bundesgerichts gut – auch, weil sie die Arbeit für die Behörden vereinfacht. Den meisten Ökonomen hingegen stösst die Sache sauer auf. Sie sind sich einig: Abreden zwischen Firmen schaden dem Wettbewerb nicht in jedem Fall, sie können ihn manchmal sogar beleben. Die Ökonomen fordern deshalb, dass die Weko künftig die Schädlichkeit von Abreden wieder nachweisen müsse. Das ist auch die Stossrichtung der laufenden Teilrevision des Kartellgesetzes.
Abreden können nützlich sein
Zweifel haben die Ökonomen vor allem bei sogenannten vertikalen Abreden. Sie liegen etwa vor, wenn ein Hersteller mit einem Händler Verkaufspreise für ein Produkt abmacht. Wegen solcher Abreden ist beispielsweise der Schweizer Skihersteller Stöckli, der Händlern Preise vorschrieb, in Konflikt mit der Weko geraten.
Doch schaden solche Praktiken wirklich dem Wettbewerb? Ökonomen verweisen darauf, dass Stöckli im intensiven Wettbewerb steht mit Skiproduzenten wie Fischer, Völkl und vielen anderen. Das macht Missbrauch schwierig. Zudem positioniert sich Stöckli in diesem Umfeld als Qualitätshersteller, der grossen Aufwand betreibt, etwa für die Ausrüstung des Skirennfahrers Marco Odermatt.
Um solche Investitionen wieder einspielen zu können, kann es notwendig sein, dass eine Firma die Preise zwischen Kundengruppen differenziert – und etwa die hohe Zahlungsbereitschaft der Odermatt-Fans in der Schweiz abschöpft. Im Extremfall ist es sonst nicht möglich, bestimmte Qualitätsprodukte anzubieten.
Ob Stöckli mit den vertikalen Abreden dem Wettbewerb tatsächlich geschadet hat oder nicht, bleibt offen. Man weiss es nicht – weil es die Weko nicht hat prüfen müssen. Die Behörde konnte die Praxis kurzerhand verbieten.
Kleine Firmen sind verunsichert
Auch bei horizontalen Absprachen ist die Sache nicht restlos klar. Hier handelt es sich um harte Abreden zwischen Firmen, die im direkten Wettbewerb zueinander stehen. Nicht selten gibt es in Branchen ein paar grosse Firmen und viele kleine Unternehmen, etwa im Detailhandel. Die Kleinen haben manchmal nur eine Chance gegen die Grossen, wenn sie zusammenspannen. Sie können etwa Einkaufsgemeinschaften bilden, um Waren günstiger aus dem Ausland zu beziehen, oder sie können gemeinsame Rabattaktionen machen, um Kunden anzuziehen. Das belebt ziemlich sicher den Wettbewerb.
Doch wenn die Firmen Preise absprechen, stehen sie mit einem Bein in der Illegalität. Es gibt Beispiele aus dem Detailhandel, wo Firmen deswegen ins Visier der Weko geraten sind. Das sorgt bei kleinen Unternehmen für Unsicherheit. Sie fragen sich, ob sie sich eine teure Rechtsberatung leisten müssen. Denn im dümmsten Fall drohen hohe Bussen. Das führt zu einem «chilling effect»: Manche Firmen verzichten lieber auf Kooperationen, obwohl diese sinnvoll und belebend für den Wettbewerb sein könnten.
Kein Rückfall in die alte Kartellwirtschaft
Damit ist nicht gesagt, dass es künftig einen Freibrief für Unternehmen geben soll. Im Gegenteil: Es bleibt wichtig, dass die Behörden schädliche Abreden mit Sanktionen belegen und so für einen funktionierenden Wettbewerb sorgen. Niemand will zurück zu Zuständen wie beim Bündner Baukartell, wo Firmen ihre Angebote für öffentliche Aufträge miteinander absprachen.
Doch das Gute ist: Gerade bei klar missbräuchlichen Fällen wie dem Bündner Baukartell ist es einfach, die Schädlichkeit von Abreden nachzuweisen. Die Weko hat bereits den nötigen Werkzeugkasten und das Personal dafür. Hingegen wäre es bei den ambivalenten Fällen wie den vertikalen Abreden richtig, wenn die Weko künftig die Schädlichkeit genauer prüfen müsste. Darum geht es bei den umstrittenen Teilen der laufenden Kartellgesetzrevision – um nicht mehr und nicht weniger.