Wer heute militärdiensttauglich ist, kann sich entscheiden, ob er in die Armee geht oder in den Zivildienst. Warum wählen junge Menschen die Armee? Drei erzählen es.
Im Massenschlag schlafen, durch den Schlamm robben, stundenlang marschieren: Wer tut sich das heute noch an? Ein Fünftel aller Militärdiensttauglichen will keinen Dienst leisten. 2023 haben sich 4400 Männer schon bei der Tauglichkeitsprüfung gegen die Armee entschieden. Sie wollten lieber den eineinhalbmal so langen Zivildienst leisten, als in den Tarnanzug zu steigen. Sie halten die Arbeit in Spitälern oder Heimen für sinnvoller als den «grünen Dienst» und für besser vereinbar mit dem Privatleben.
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Doch wer sind die Männer, die sich für die Armee entscheiden? Welche Gründe haben sie?
Levent Planzer, Zürich
Levent Planzer ist 22 Jahre alt und Schreiner. Für ihn sei Zivildienst nie eine Option gewesen, sagt er. Er finde es fair, dass grundsätzlich «alle» Militärdienst leisten müssten – jedenfalls alle männlichen Schweizer. Dabei dachte er noch am Tag der Rekrutierung, er selbst sei untauglich wie fünf seiner Cousins: «Der eine ist ein Schlafwandler, ein anderer hat eine Knieverletzung. Ich habe mir als Teenager zwei Rückenwirbel gebrochen.» Doch der Militärarzt erkannte keinen Grund für Untauglichkeit. Ohne Schrauben im Rücken könne er durchaus Dienst leisten, befand er.
Bereits am Rekrutierungstag bekam Levent Planzer einen kleinen Vorgeschmack auf die neue Welt, die ihn ab Sommer 2025 erwartet: Er schlief in einem Dreibettzimmer mit zwei Unbekannten. Eigentlich ein Luxus gegenüber den Massenschlägen in der Rekrutenschule (RS). Doch Planzer hatte nicht viel von diesem Privileg: «Einer hat die ganze Nacht so laut geschnarcht, dass ich kaum ein Auge zugemacht habe.»
Die Armee hat ihn eingeteilt als Motorfahrer für Spezialfahrzeuge, da er bereits den Führerausweis für Lastwagen hat. Planzer freut sich auf die RS, Sorge macht ihm nur etwas: «Dass sie mich zwingen könnten, weiterzumachen.» Laut Militärgesetz können Soldaten verpflichtet werden, Kaderfunktionen zu übernehmen. Wenn junge Männer nach der RS noch in den Zivildienst wechseln, geben sie oft als Grund an, dass sie nicht weitermachen wollten.
Dominic Eigenmann, Luzern
Dominic Eigenmann, 20 Jahre alt, aus Luzern, wollte ursprünglich ebenfalls keine Führungsfunktion übernehmen. Doch 2024 absolvierte er erfolgreich die Unteroffiziersschule. Die Armee habe ihn überzeugt, sagt er, und es brauche schliesslich motivierte Kader.
Bei der Rekrutierung wollte Eigenmann eigentlich eine, wie er sagt, «chillige Funktion» ergattern, nichts körperlich Anstrengendes. Ausgehoben wurde er dann aber ausgerechnet als Panzergrenadier, wie er lachend erzählt. Eine der physisch und psychisch anspruchsvollsten Funktionen, die es in der Armee gibt.
Bei einer Übung während der Sommer-RS wurde seine Belastbarkeit besonders auf die Probe gestellt: Um vier Uhr morgens wurde er geweckt, musste sein Handy abgeben, auf den Jaunpass marschieren, dort biwakieren, am nächsten Morgen schiessen, erneut marschieren und mit Gewehr und Gepäck über einen See schwimmen. «Da habe ich mich schon gefragt, warum ich mir das antue», sagt Eigenmann.
In solchen Momenten sei Kameradschaft das A und O: Es gehe um Kleinigkeiten, sagt der Luzerner. «Jemand erzählt einen Witz oder teilt sein letztes Stück Schokolade mit dir.» Zusammenhalten und durchbeissen auch in schwierigen Zeiten, das habe ihn das Militär gelehrt. Eigenmann ist überzeugt: «Der Armeedienst tut jedem gut, egal, ob Mann oder Frau.»
Gregor Bruhin, Zug
Gregor Bruhin hat die RS und die Offiziersausbildung bereits erfolgreich absolviert und ist heute Präsident der Offiziersgesellschaft Zug: «Mich hat das Militär schon als Kind fasziniert, als mein Vater jeweils in Uniform nach Hause gekommen ist», sagt er. Stets sei der Dienst in seiner Familie positiv dargestellt worden.
Er wollte zur Spezialeinheit der Militärpolizei. Freie Plätze gab es damals jedoch nicht. So wurde er als Teil der Kampftruppe ausgehoben. Doch Bruhin, ein Kaufmann, war es nicht gewohnt, den ganzen Tag in Kampfstiefeln herumzulaufen. Er bekam schwere Druckstellen an beiden Füssen. «Mein Vorgesetzter sagte, ich sei ein Weichei. In der Infanterie gebe es das halt», so erinnert sich Bruhin. Als seine Einheit anschliessend einen Hindernislauf absolvieren musste, schmerzten seine Füsse so sehr, dass er die Stiefel auszog und beim Anblick erschrak: Alles war voller Blut. Die Militärärztin stellte einen Infekt fest und musste ihm totes Gewebe aus den Füssen schneiden.
Bruhin lag mehrere Tage auf der Krankenstation und erfuhr dann, dass er nicht zur Aufnahmeprüfung für die Unteroffiziersschule zugelassen sei. Dagegen wehrte er sich erfolgreich. Er wurde doch noch zu den Tests zugelassen und bestand. Doch jetzt war er plötzlich nicht mehr sicher, ob er überhaupt noch mehr Zeit und Schweiss investieren sollte: «Ich war wütend auf das System Armee», gibt er zu. Schliesslich konnte ihn der damalige Schulkommandant überzeugen. Bruhin machte weiter und trägt heute den Grad eines Majors.
Jeder müsse seinen Teil für die Sicherheit der Schweiz leisten, sagt der 31-Jährige überzeugt. Für Zivildienstleistende habe er «kein Verständnis». Schliesslich gebe es auch waffenlose Funktionen in der Armee. Natürlich sei das Militär «nicht angenehm», aber ihn habe es Durchhaltevermögen gelehrt und «Verständnis für andere Lebensweisen und Sprachregionen». Er sei noch nie mit so vielen unterschiedlichen Leuten in Kontakt gekommen wie im Militär.
Die Schweizer Armee brauche genügend Soldaten, sagt Bruhin. Der russische Angriff auf die Ukraine habe gezeigt, wie schnell sich die Welt verändere und wie wichtig es sei, dass sich ein Land selbst verteidigen könne.