Wie wirken sich die Energiewende und die Abkehr von russischem Gas auf die Strom- und Gaspreise aus? Alle Zahlen, tagesaktuell.
Wer heute einen Gas- oder Stromvertrag abschliesst, zahlt immer noch mehr als vor der Energiekrise. Die folgende interaktive Karte zeigt die tagesaktuellen Strom- und Gaspreise für eine vierköpfige Familie in Ihrem Ort sowie einen Vergleich mit dem Vorkrisenniveau.
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Bereits mehrere Monate vor Beginn des Ukraine-Kriegs führten historisch niedrige Füllstände in den Gasspeichern – insbesondere in Anlagen von Gazprom Germania – zu einer ersten Preisexplosion. Die Unruhe auf dem Gasmarkt trieb auch den bereits seit November 2020 steigenden Strompreis weiter nach oben. In Deutschland wird jede zweite Wohnung von einer Gasheizung versorgt; hinzu kommen 7 Prozent, die über Fernwärme mit Erdgas beheizt werden. Der grösste Verbraucher ist allerdings die Industrie.
Inzwischen sind die Preise bei Neuabschluss wieder gesunken – beim Strom deutlicher als beim Gas –, sie liegen aber weiterhin über dem Vorkrisenniveau.
Deutsche Stromkunden profitieren davon, dass die jüngst stark gestiegene EEG-Umlage nun vom Steuerzahler finanziert werden muss. Mit EEG-Umlage wäre Strom für private Haushalte und Industriebetriebe teurer.
Warum ist Strom ausgerechnet in Regionen mit viel Windkraft teurer?
Die regionalen Unterschiede bei den Strom- und Gastarifen lassen sich in der Regel auf unterschiedlich hohe Netzentgelte zurückführen: Beim Strom waren sie lange Zeit im Nordosten sehr hoch, beim Gas in Teilen Ostdeutschlands. Das machte Strom ausgerechnet im Windkraftland Schleswig-Holstein teurer als in Süddeutschland. Für die unterschiedlich hohen Netzentgelte gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Je mehr in einer Region in Netzausbau und Versorgungssicherheit investiert werden muss, etwa für die Integration erneuerbarer Energien, und je ländlicher diese Region ist, desto höher ist das Netzentgelt. Die steigenden Kosten für die Integration erneuerbarer Energien umfassen auch den Unterhalt von fossilen Ersatzkraftwerken. Haushalte in Grossstädten hingegen profitieren in der Regel von günstigeren Tarifen. Dort sind die Netze gut ausgelastet, und die Kosten verteilen sich auf mehr Verbraucher.
Mit der Reform der Netzentgelte soll Strom in Regionen wie Schleswig-Holstein künftig günstiger werden; in vielen anderen Regionen wird er hingegen teurer.
Ein Grund für die weiterhin hohen Energiepreise sind gestiegene Beschaffungskosten für die Energieversorger: Am europäischen Terminmarkt liegen die Preise nach der Abkehr von billigem russischem Pipelinegas und dem Lieferstopp über die Ukraine dauerhaft über Vorkrisenniveau.
Grosshändler, die sich kurzfristig Strom zu stark schwankenden Preisen am sogenannten Spotmarkt besorgen wollen, zahlen in der Regel ebenfalls mehr als vor Beginn der Energiekrise. Für die meisten Stromversorger sind langfristige Geschäfte am deutschen Terminmarkt allerdings wichtiger. Dort sind die Preise rund doppelt so hoch wie vor der Krise.
Warum verschenkt Deutschland Strom ins Ausland?
An sonnigen und windreichen Tagen, wenn der Strombedarf eher niedrig ist, kommt es in Deutschland wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien immer häufiger zu Überschüssen in der Stromerzeugung. Die Folge: Die deutschen Kraftwerksbetreiber müssen ihren Strom verschenken oder, wenn der Preis am Spotmarkt ins Negative rutscht, für die Abnahme sogar bezahlen. Nachbarländer wie die Schweiz oder Österreich können diesen Strom dann in ihren Pumpspeichern speichern und, wenn die Nachfrage wieder steigt, zu hohen Preisen an Deutschland zurückverkaufen. Deutsche Verbraucher mit einem dynamischen Stromtarif profitieren von diesem kurzfristigen Preisverfall, ebenso Betreiber von kleineren Photovoltaikanlagen, weil sie trotz negativen Preisen eine feste Einspeisevergütung erhalten – auf Kosten der Steuerzahler. Droht das Überangebot das Netz zu destabilisieren, müssen manche Wind- und Solarparks sogar abgeschaltet werden; die Betreiber erhalten dafür Entschädigungszahlungen.
Die Zahl der Stunden mit negativen Preisen hat sich 2023 zwar mehr als verdreifacht im Vergleich zum Vorjahr, was kurzfristig immense Kosten verursachte. Dennoch bleiben sie übers Jahr gesehen die Ausnahme. Dass Deutschland Strom günstig exportieren und in wind- und sonnenarmen Zeiten aus dem Ausland teuer importieren muss, ist dagegen eher die Regel als die Ausnahme.
Auch private Haushalte in Deutschland zahlen laut Eurostat weiterhin die höchsten Strompreise in der EU. Kaufkraftbereinigt rangieren die deutschen Strompreise auf dem dritten Platz hinter Tschechien und Zypern.
Zusammen mit Dänemark hat Deutschland seit vielen Jahren die höchsten Strompreise in der EU. Auch bei Neuabschluss liegt Deutschland regelmässig auf Platz eins, wie ein Tarifvergleich der jeweils drei grössten (Grund-)Versorger in den europäischen Hauptstädten zeigt. Schuld daran sind hohe Abgaben für die Finanzierung neuer Windkraft- und PV-Anlagen, die wiederum Netzausbaukosten in Milliardenhöhe verursachen, hinzu kommt der Ausstieg aus günstiger, CO2-armer Kernkraft.
Am stärksten betroffen von den hohen Preisen ist die energieintensive Industrie, die unter anderem Papier, Glas, Zement sowie Stahl und Aluminium herstellt; insgesamt sind dort rund 15 Prozent der deutschen Industriearbeiter beschäftigt. Seit dem Einbruch der Produktion im März 2022 haben sich diese Unternehmen nie vollständig erholt, dementsprechend gering ist ihr Energieverbrauch. Für Strom zahlten von der EEG-Umlage befreite Betriebe im Jahr 2023 immer noch mehr als vor der Krise.
Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft sind industrielle Strompreise in Deutschland international nicht mehr wettbewerbsfähig.
Um während der Heizperiode Gas in der Stromerzeugung einzusparen, hatte Deutschland zwei Jahre in Folge die Braunkohlereserve wieder hochgefahren. Anfang 2024 sind allerdings mehrere Kohlekraftwerke endgültig vom Netz gegangen. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 vereinbart.
Weil die rund 30 000 Windräder und 2,7 Millionen Photovoltaikanlagen mangels Speichern nicht zuverlässig Strom liefern und Deutschland weitere Kernkraftwerke abgeschaltet hatte, war der Anteil der fossilen Energieträger an der Stromerzeugung im ersten Energiekrisen-Jahr stark gestiegen. Dass er im Jahr 2023 fast auf das Niveau des Corona-Jahres 2020 sank, lag zum einen am Ausbau der Erneuerbaren, zum anderen am geringeren Stromverbrauch infolge der Rezession sowie an den stark gestiegenen Importen aus dem Ausland. Auch absolut gesehen nimmt der aus fossilen Quellen erzeugte Strom – zusammen mit der insgesamt produzierten Strommenge – seit Jahren ab.
Obwohl Deutschland seit dem Jahr 2000 viele Hundert Milliarden Euro in den Stromsektor investiert hat, verursacht das Land immer noch mehr Treibhausgasemissionen als die meisten EU-Länder. Das ist auch eine Folge des Atomausstiegs. Wäre Deutschland nicht aus der Kernkraft ausgestiegen, wäre der Strommix heute deutlich klimafreundlicher.
Auch auf die Preise am europäischen Strommarkt wirkte sich der deutsche Atomausstieg aus. Eine Ökonomengruppe der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kam Ende 2022 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass ein Weiterbetrieb der drei im April 2023 abgeschalteten Kernkraftwerke die Strompreise gesenkt hätte – sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern. Die Autoren beziffern den dämpfenden Effekt auf den Strompreis auch heute noch auf 8,5 bis 12 Prozent.
Mitte April 2023 hat Deutschland die noch verbliebenen Kernkraftwerke abgeschaltet. Seither importiert das Land so viel Strom wie noch nie seit Meldebeginn – auch weil jetzt im Inland Kapazitäten zur günstigen, CO2-armen Stromproduktion fehlen. Wegen des hohen CO2-Preises war es für Deutschland nach dem Atomausstieg günstiger, Strom aus CO2-armer Wasser- und Kernkraft zu importieren, statt diesen nun mit den im Inland verbliebenen steuerbaren Kohle- und Gaskraftwerken selbst zu erzeugen.
Demnach ist Deutschland erstmals seit dem Jahr 2002 wieder Netto-Importeur von Strom. Auch in den Wintermonaten, wenn ein geringes Angebot und hohe Nachfrage aufeinandertreffen, exportiert Deutschland nun weniger Strom als früher – eine Folge des hohen CO2-Preises und der abgeschalteten Kernkraftwerke, die auch an wind- und sonnenarmen Tagen CO2-armen, günstigen Strom produzieren konnten.
Warum Deutschland nicht unbegrenzt (günstigen) Strom importieren kann
Grundsätzlich fliesst auf dem europäischen Markt Strom aus Ländern mit niedrigen Preisen in Länder mit hohen Preisen. Durch Handel zwischen den Marktteilnehmern gleichen sich die Preise in allen Ländern an. Weil die grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten begrenzt sind, steht günstiger Strom allerdings nicht unbegrenzt zur Verfügung. Perspektivisch könnte das für Deutschland ein Problem werden – wie ein Beispiel aus Skandinavien zeigt: Aus Sorge vor höheren Preisen im Inland hat die schwedische Regierung den Bau einer neuen Leitung nach Deutschland gestoppt und so zusätzliche Stromexporte unterbunden. Einige Experten plädieren deshalb dafür, Deutschland in mehrere Strompreiszonen aufzuteilen.
Sollte Deutschland den Kohle-Ausstieg vorantreiben ohne neue regelbare Kraftwerke zu bauen, sind auch Extremszenarien denkbar, in denen die Importe wegen der beschränkten Übertragungskapazitäten nicht mehr ausreichen, um während einer langen Dunkelflaute die Nachfrage im Inland zu decken.
Strom importiert Deutschland in erster Linie aus Frankreich und den skandinavischen Ländern, wobei Dänemark häufig Transitland ist für schwedischen und norwegischen Strom aus Wasser- und Kernkraft.
Eine Auswertung der Denkfabrik Agora Energiewende zeigt, dass sich seit dem Atomausstieg die Atomstrom-Importe aus Deutschlands Nachbarländern im Schnitt mehr als verdoppelt haben. Wichtig sind Importe für Deutschland vor allem dann, wenn die wetterabhängige Erzeugung aus Wind und Sonne schwächelt. Daher sind diese häufig teuer, Deutschlands Exporte hingegen eher billig. Wegen fehlender Speicher muss das Land seinen Strom sogar verschenken, insbesondere in den Sommermonaten.
Beim Erdgas setzt Deutschland inzwischen vermehrt auf den Import von Flüssiggas (LNG), nachdem die Liefermengen über Pipelines stark zurückgegangen waren im Vergleich zu den Vorjahren. Russisches Gas fliesst allerdings weiterhin über die beiden Pipelines Turkstream und Transgas in Richtung Europa.
Beim Flüssiggas hingegen sind die russischen Lieferungen in die EU nicht gesunken – im Gegenteil: Die EU importierte im Dezember so viel LNG aus Russland wie in keinem Monat zuvor. Auch im gesamten Jahr 2024 erreichten die Importe mit einem Anstieg von 20 Prozent gegenüber 2023 einen neuen Rekordwert. Für Januar wird ein weiterer Zuwachs erwartet. Auch die USA konnten ihre Exporte von LNG steigern, das dort meist durch Fracking gewonnen wird. Wegen langer Transportwege und Methanlecks könnte LNG sogar noch klimaschädlicher sein als Kohle.
Ausgleichen konnte Deutschland die Ausfälle von russischem Pipelinegas in erster Linie mit indirekten LNG-Importen über die Benelux-Staaten.
Warum fördert Deutschland kein eigenes Fracking-Gas?
Die Förderung von Fracking-Gas leistet laut Robert Habeck (Grüne) keinen sinnvollen Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung in Deutschland. Gleichzeitig will Habeck auf die Verstromung von Erdgas nicht verzichten, um Blackouts zu verhindern. Mit den deutschen Schiefergas-Vorkommen könnte das Land den Eigenbedarf an Gas laut Umweltbundesamt mehr als ein Jahrzehnt lang vollständig decken und wäre in dieser Zeit nicht mehr auf Importe angewiesen. Im Jahr 2021 schätzte eine mit Umweltforschern und Geologen besetzte Expertenkommission das Risiko von Fracking für das deutsche Trinkwasser als «gering» ein.
Seit Dezember 2022 importiert Deutschland auch erstmals direkt geringe Mengen LNG über ein eigenes schwimmendes Terminal in Wilhelmshaven. In den kommenden Jahren sollen auch feste Terminals folgen.
Um eine «Gasmangellage» im Winter zu verhindern, schreibt die Bundesregierung den Betreibern von Gasspeichern Mindestfüllstände vor: Am 1. Oktober sollen sie zu mindestens 85 Prozent gefüllt sein, am 1. November zu 95 Prozent.
Wie lange reicht das Gas in den Speichern?
Das lässt sich nur schwer abschätzen. Die Bundesnetzagentur hatte zwar regelmässig Modellrechnungen zu den Speicherständen veröffentlicht, lag damit aber immer deutlich daneben. Angenommen, die Speicher wären komplett gefüllt und Deutschland würde gleichzeitig gar kein Erdgas mehr importieren, dann wäre die Versorgung für ungefähr zwei Wintermonate gesichert. Allerdings ist das eingelagerte Gas nicht ausschliesslich für deutsche Haushalte reserviert; einen Teil davon können Händler jederzeit ins EU-Ausland verkaufen. Wie hoch dieser Anteil ist, ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Der Grund: In den Monaten nach Beginn des Ukraine-Kriegs füllten sich die Speicher immer seltener mit russischem Erdgas, weil Gazprom die Lieferungen über Nord Stream 1 Mitte Juni zunächst auf 40, im August dann auf 20 Prozent der ursprünglichen Menge reduziert hatte.
Infolge von Dunkelflauten und kälteren Temperaturen leeren sich die deutschen Gasspeicher derzeit etwas schneller als gewöhnlich. Die Lagerbestände wieder aufzufüllen, könnte teuer werden.
Wie hat Deutschland während der Energiekrise die Speicher gefüllt?
Das gelang im Wesentlichen durch gestiegene Flüssiggas-Importe aus den Benelux-Staaten. Im Jahr 2022 hat die Netzbetreiberkooperation Trading Hub Europe (THE) im Auftrag der Bundesnetzagentur mehrere Milliarden Kubikmeter Gas an den Energiebörsen geordert. 15 Milliarden Euro bekam das Unternehmen dafür von der Staatsbank KfW. Das sorgte kurzfristig für volle Speicher, laut einem «Spiegel»-Bericht allerdings auch für unnötig hohe Preise. Gleichzeitig sorgten die milde Temperaturen dafür, dass nur wenig Gas ausgespeichert werden musste.
Datenanalyse, Grafiken, Text: Simon Haas. Karte: Nicolas Staub. Dashboard: Michel Grautstück. Mitarbeit: Roland Shaw, Rico Klatte, Franco Gervasi.