Alle reden von der grünen Wende. Alle? In Südamerika, wo viele kritische Rohstoffe dafür herkommen, ist man nicht uneingeschränkt begeistert. Alternative Energiekonzepte und nachhaltige Wertschöpfungsketten sind an den großen Verhandlungstischen aber kaum Thema.
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Die Dürre der vergangenen Monate in Südamerika trifft vor allem indigene Gemeinschaften hart (im Bild: Angehörige der Yagua im Amazonasbecken, Kolumbien).
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Luis Acosta/AFP
Die Sonne ist in Ecuadors Hauptstadt, die an den Hängen der Anden liegt, mittlerweile ein ernstes Gesundheitsproblem geworden. Aufgrund von Quitos Lage auf 2850 Metern absorbiert die Atmosphäre viel weniger UV-Strahlung als in Tälern. Zehn Jahre lang hat der Österreicher Johannes M. Waldmüller hier unter anderem als Professor für Umweltpolitik an der Universidad de Las Américas, geforscht. In diesen zehn Jahren habe sich die Situation aufgrund des Klimawandels rapide verschlimmert. „Ohne Lichtschutzfaktor 50+ kann man nicht mehr außer Haus gehen“, erklärt er. So manche düstere Prognose prophezeie, dass die Stadt bis Mitte des Jahrhunderts unbewohnbar geworden ist. „Dazu kommen immer heftigere Starkwetterphänomene mit ausgeprägten Regenperioden und Dürren.“
Europäischer Tunnelblick
Aber nicht nur in Quito, in vielen südamerikanischen Ländern sind die Folgen des Klimawandels um ein Vielfaches stärker als in Mitteleuropa zu spüren – Regenwaldrodungen oder eine wenig nachhaltige industrielle Landwirtschaft tragen das Ihre dazu bei. „Von den Menschen dort kann man lernen, wie bereits gelebte Anpassung im Alltag funktionieren kann und was dafür notwendig ist“, so Waldmüller, der seit 2021 am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien arbeitet. Der Sozialanthropologe hat sich auf Internationale Beziehungen spezialisiert. Ihn interessieren Themen der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe mit einem Schwerpunkt auf Nord-Süd-Beziehungen, grüne Wende und Menschenrechte. Mit seiner Arbeit macht er auf den europäischen Tunnelblick bei dem Thema grüne Transformation aufmerksam.
Ein großer Teil der kritischen Rohstoffe wie Lithium, die für die grüne Wende gebraucht werden, lagert auf indigenem Gebiet (im Bild: Lithium-Felder in der Atacama-Salzwüste in Chile).
Reuters / Ivan Alvarado / File Photo
Lateinamerika ist für die globale Energiewende zentral und erlangt eine neue geopolitische Rolle – vor allem als Lieferant für kritische Rohstoffe wie Lithium und Kupfer, die zum Bau von PV-Anlagen und Windrädern benötigt werden, aber auch als Hersteller von grünem Wasserstoff. Doch ein großer Teil – je nach Schätzungen ist von einem Drittel bis der Hälfte die Rede – der kritischen Rohstoffe lagert auf indigenem Gebiet. „Diese Regionen sind natürlich nicht einfach neu ,kolonisierbar‘“, sagt Waldmüller. „Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich die internationale ILO-Konvention 169 zur Stärkung der Rechte der Indigenen z. B. in Bergbaufragen noch nicht unterzeichnet.“
Abbau von Lithium ist wasserintensiv
Die grundsätzliche Frage, die sich Aktivisten und Forscher in Südamerika stelle, sei, ob man bei diesem globalen Dekarbonisierungskonsens mitmachen will: „Es existieren alternative Formen einer grünen Wende, die oft ausgeblendet werden.“ Ein Beispiel dafür sei, auf dezentralisierte Bürgerinitiativen zu setzen, die sich kleinräumig selbst mit Energie versorgen. „Vor allem in Ländern wie Kolumbien gibt es das sehr ausgeprägt, weil der Staat historisch wenig präsent war. In internationalen Zusammenarbeiten spielt das aber keine Rolle.“