Das Center for Security Studies der ETH hat sich angeschaut, wie die Schweizer Armee die internationale Kooperation ausbauen könnte. Davon soll auch die innere Sicherheit der Schweiz profitieren.
Strassensperren wegräumen, Minen oder Munition sicher entfernen oder Gespräche führen mit Schulleitern und Gemeindepräsidenten, um neue Konfliktherde zu erkennen: Die Soldatinnen und Soldaten, die in der Schweizer Mission in Kosovo engagiert sind, haben verschiedene Aufgaben. Die Schweiz solle ihr Engagement in der militärischen Friedensförderung ausbauen, befand die Studienkommission des VBS, die Ende August ihren Bericht vorgelegt hat. Konkret soll ein zweites Kontingent aufgebaut werden, «sobald sich eine entsprechende Gelegenheit bietet», irgendwo, steht als Empfehlung.
Das Verteidigungsdepartement teilt auf Anfrage mit, dass ein zusätzliches Kontingent an einem neuen Einsatzort «laufend geprüft» werde. Voraussetzung sei jedoch, «dass die Schweiz zur Beteiligung an einer neuen oder bestehenden Mission eingeladen» werde. Sollte das Kontingent bewaffnet sein, so wie in Kosovo, müsste dies zudem die Bundesversammlung genehmigen.
Das Center for Security Studies (CSS), ein Think-Tank der ETH Zürich, nimmt diese Idee der VBS-Studienkommission in seinem neusten Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik 2024 auf. Das Bulletin soll Impulse für aktuelle Debatten geben.
Zivil-militärische Projekte als «Image-Mehrwert»
Die Autoren betonen, dass die Schweiz im Falle eines Ausbaus der militärischen Friedensförderung in Uno- und Nato-Missionen im Ausland insbesondere dann «viel Wohlwollen» generieren würde, wenn solche Kontingente künftig auch zivil-militärische Projekte umsetzen könnten. «Dies würde die (Nato-)Partner entlasten», die solche Aufgaben heute schon wahrnehmen, und diese Partner könnten ihre Ressourcen an anderen Orten einsetzen, wo sich die Schweiz nicht engagiere. «Beispielsweise an der Nato-Ostflanke», schreiben die Autoren Lucas Renaud und Simon Aebi. Beide waren für die Schweizer Armee bereits in militärischen Einsätzen zugunsten der Friedensförderung engagiert. Renaud in Kosovo und Bosnien-Herzegowina, Aebi im Nahen Osten.
Die Schweizer Armee könne zum Beispiel mit ihrem Pionierzug in Kosovo grössere Infrastrukturprojekte realisieren. So werde das Schweizer Engagement noch sichtbarer und nachhaltiger. Dies analog zu den Projekten, die über die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit laufen. Armeeangehörige aus den Genie- und Rettungstruppen können bereits jetzt Teil der Rettungskette Schweiz werden und sich für humanitäre Einsätze im Ausland zur Verfügung stellen.
Aus Sicht der CSS-Forscher wäre dies ein «konkreter (und neutralitätsrechtlich unproblematischer) Ansatz», der geringe Mittel benötigen würde, aber «einen grossen Image-Mehrwert generieren könnte».
Bevölkerungsschutz sieht Handlungsbedarf
Ausserdem könnten hierzulande gewisse Szenarien zwar geübt, aber nicht real erlebt werden, sagt Simon Aebi. In spezifischen Auslandseinsätzen sei dies hingegen möglich: «Von diesen Erfahrungen profitiert auch die inländische Zusammenarbeit.» Insbesondere jetzt, da die Schweizer Armee sich wieder stärker auf die Verteidigung ausrichten wolle, seien solche Erfahrungswerte wertvoll.
Bis anhin hat die Armee zivile Behörden bei Katastrophen und Notlagen unterstützt. Die Direktorin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (Babs), Michaela Schärer, sagte im Juni an der Regierungskonferenz von Militär, Zivilschutz und Feuerwehr, dass die Unterstützung der Armee für zivile Organisationen künftig geringer ausfallen werde, da der Fokus wieder auf der Verteidigung liege. Somit müsse auch der Bevölkerungsschutz eigenständiger werden und seine Durchhaltefähigkeit erhöhen.
Das Babs hat zu diesem Zweck fünfzehn Handlungsfelder definiert, in denen es derzeit noch Fähigkeitslücken gibt. Unter anderem wird die Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Kräften in Katastrophen, Notlagen und bewaffneten Konflikten «als nicht ausreichend klar beurteilt». Dies könne zu «vermeidbaren Schäden bei der Bevölkerung und Wirtschaft» führen, da der Bevölkerungsschutz nicht optimal eingesetzt werden könne. Konkret geht es um die «kooperative Planung und Führung auf allen Stufen», die «zu klären» seien.
Die Forscher des CSS der ETH wollen mit ihrem Bulletin anregen, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken. «Das Babs spricht es an, es ist ein grösseres Bedürfnis von zivilen Behörden und Organisationen vorhanden», sagt Lucas Renaud. Das gelte es nun ernst zu nehmen, und man solle die nötigen Leitlinien definieren.
Vonseiten der Armee gibt es bereits diverse Einheiten, die regelmässig mit zivilen Partnern üben. Zum Beispiel Sanitätsbataillone, die mit regionalen Spitälern zusammenarbeiten. Solche Kooperationen schaffen günstige Voraussetzungen für allfällige Notlagen.
Klar ist für die Forscher aber auch: Im Krisen- oder Konfliktfall hat die Armee keinen Führungsanspruch. Sie untersteht der Politik. Deshalb hoffen Renaud und Aebi, dass die sicherheitspolitische Strategie 2025 die grossen Linien definieren wird. Das Staatssekretariat für Sicherheit wurde mit der Strategie beauftragt. Diese soll Ende nächsten Jahres vorliegen.