Sogar die konservativen Richter im amerikanischen Supreme Court zeigen sich skeptisch, ob der Präsident fast unlimitierte Zölle erheben darf. Laut den Online-Prognose-Märkten ist eine Niederlage des Präsidenten wahrscheinlicher geworden.

John Sauer, der Generalanwalt der Vereinigten Staaten, musste sich bei der Anhörung zahlreichen kritischen Fragen stellen.
Dana Verkouteren / AP
Der Spaziergang entlang der Constitution Avenue in Washington, vom Weissen Haus bis zum Sitz des Supreme Court, ist bloss drei Kilometer lang. Und dennoch hatte Donald Trump an diesem Mittwoch kein Heimspiel, als sein Team seine Zölle vor dem Obersten Gericht Amerikas verteidigen wollte.
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Vor den Toren des Gerichtshofs demonstrierten wie so oft kleinere Grüppchen gegen Trumps Politik. Die einen zogen in roten Roben aus der dystopischen Serie «Handmaid’s Tale» durch die First Street, ein anderer machte mit einem «Fuck ICE»-Schild von seinem Recht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch. Der vulgäre Fluch gilt der Einwanderungsbehörde, die derzeit auf Trumps Geheiss so viele undokumentierte Migranten wie möglich aus den USA ausschaffen soll.
Scharfe Fragen an die Regierung
Solche Strassenproteste ist sich der amerikanische Präsident längst gewohnt. Für einmal schlug ihm aber im Gerichtssaal ein eisiger Wind entgegen. Das ist sich Trump, der in den vergangenen Tagen sogar mit dem Gedanken spielte, der Anhörung selbst beizuwohnen – was für einen amtierenden Präsidenten sehr ungewöhnlich gewesen wäre – kaum mehr gewohnt.
Sechs der neun Richter am Obersten Gericht wurden schliesslich von republikanischen Präsidenten ernannt und gelten als konservativ. In ihren bisherigen Urteilen hatten sie Trump, der seit Anfang Jahr die Grenzen der Macht der Exekutive mit unzähligen Dekreten ausgelotet hat, nur selten Steine in den Weg gelegt.
An diesem Mittwoch war es anders. Trumps Generalanwalt John Sauer ratterte seine Argumente in schnellem Stakkato herunter: Die Strafzölle jetzt aufzuheben, führe zu rücksichtsloser Vergeltung durch Länder wie China, warnte er. Die nationale wirtschaftliche Sicherheit würde stark gefährdet.
Da es sich bei den Zöllen um eine aussenpolitische Massnahme handle, und diese zu den Befugnissen des Präsidenten gehörten, greife auch die «Major Questions»-Doktrin nicht, argumentierte Sauer. Dabei handelt es sich um den in Amerika etablierten Grundsatz, dass das Parlament seine Entscheidungsgewalt in wichtigen Fragen nur dann an die Regierungsbehörden delegieren kann, wenn es dies explizit in einem Gesetz festhält. Vage Andeutungen reichen nicht aus.
Kritik von konservativen Richtern
Sauer sah sich in der Anhörung von Beginn weg mit kritischen Fragen der Richter konfrontiert. Clarence Thomas, der amtsälteste Magistrat im Supreme Court, unterbrach ihn schon nach kurzer Zeit und hinterfragte das fundamentale Argument, dass Trumps Zölle ein aussenpolitisches Instrument seien. Der erste Artikel der amerikanischen Verfassung sagt nämlich ausdrücklich, dass es dem Kongress obliegt, Steuern zu erheben und den Handel mit anderen Ländern zu regulieren. Thomas’ Kollegen nahmen den Ball auf. «Ich verstehe dieses Argument nicht», sagte die progressive Richterin Sonia Sotomayor: «Ein Zoll ist eine Steuer.»
Richterin Ketanji Brown Jackson ergänzte, dass der Kongress das Notstandsgesetz IEEPA, auf dem Trumps Zölle fussen, 1977 in Kraft setzte, um die Machtbefugnisse des Präsidenten in Handelsfragen einzuschränken – und nicht, um ihm mehr Macht zu gewähren. Es entspann sich eine epische Auseinandersetzung darum, was unter dem Begriff «regulieren» zu verstehen ist.
Im Unterschied zu manch anderen Gesetzen erwähnt die IEEPA Zölle nie wörtlich. Stattdessen steht geschrieben, dass der Präsident Importe «regulieren» darf, um einen Notstand abzuwenden. Sauer verteidigte Trumps Position unter anderem mit einer Unterscheidung zwischen Zöllen, die der Staatskasse Geld einbringen sollen, und «regulierenden Zöllen», die einem anderen Zweck dienen. Dass Trump seit einem halben Jahr regelmässig gesagt hat, dass Amerika dank den Zöllen reich werde und daran Milliarden verdiene, könnte dieses Argument in den Augen der Richter allenfalls schwächen.
Entscheidend war, dass mit dem Gerichtsvorsitzenden John Roberts, Neil Gorsuch und Amy Coney Barrett auch mehrere konservative Richter immer wieder hartnäckig nachfassten. Wenn sie sich auf die Seite der drei linken Richter schlagen, wird Trump den Fall verlieren.
«Nicht in der Macht eines Präsidenten»
Der Anwalt der gegen die Regierung klagenden Unternehmen, Neal Katyal, erfuhr etwas weniger Gegenwehr, und griff die kritischen Bemerkungen der Richter gegenüber Sauer in seinem Statement mehrfach auf. Er erwähnte interessanterweise auch die Strafzölle über 39 Prozent, welche Trump gegenüber der Schweiz, «einem Verbündeten der USA», verhängt hatte. Sie seien ein Beispiel dafür, dass sich der Präsident weit mehr Befugnisse angemasst habe, als ihm der Kongress geben wollte. «Das ist schlicht nicht etwas, was jemals in unserer Geschichte in der Macht eines Präsidenten lag», sagte Katyal.
Ausserhalb des Gerichtssaals setzte sich der Eindruck durch, dass die Regierung sich in der Anhörung schlechter schlug als erwartet. Beim Online-Prognosemarkt Predictit hatten die Teilnehmer Trumps Siegeschance am Mittwochmorgen noch auf zwischen 30 und 50 Prozent geschätzt, später sank dieser Wert auf unter 20 Prozent. Die Quoten auf diesen Plattformen können zwar beträchtlich schwanken, wenn die Zahl der Teilnehmer beschränkt bleibt; dennoch geben sie einen Fingerzeig, wie die Aussenwelt das Verfahren wahrgenommen hat.
Das Oberste Gericht dürfte sich nun einige Wochen bis Monate Zeit nehmen, um zu einem Urteil zu gelangen. Aus den Voten der Richter darauf zu schliessen, wie dieses Urteil ausfällt, ist schwierig. Es bleibt zudem möglich, dass der Supreme Court den Klägern nur einen Teilsieg gewährt und wichtige Fragen zur Klärung an die Vorinstanzen zurückgibt. Das Verfahren würde in jenem Fall noch einmal länger dauern.
Die von Trump mit Zöllen gepeinigten Handelspartner dürfen sich nach dieser Anhörung zwar Hoffnungen auf ein für sie vorteilhaftes Verdikt machen. Aber selbst im Falle einer Niederlage vor Gericht könnte die Regierung auf andere Gesetze zurückgreifen, um einen Teil der Zölle zu reaktivieren. Die Unsicherheit darüber, welche Regeln den Handel mit Amerika in den nächsten Monaten – geschweige denn Jahren – ordnen werden, bleibt aber hoch.