Fünftes Spiel, fünfte Niederlage: YB bleibt in der Königsklasse verloren. Doch so heftig wie gegen das Spitzenteam der Serie A war im eigenen Stadion Europacup noch selten.
2008 spielte der FC Basel in der Champions League gegen den FC Barcelona. Der St.-Jakob-Park war voll und die Schweizer Hoffnung schnell weg. 0:4 unmittelbar nach der Pause, am Ende 0:5. Der Barça-Trainer hiess Josep Guardiola, Xavi lenkte auf dem Rasen, Lionel Messi schoss ein Tor und gab zwei Assists. Zwei Welten, null Chance, Versteinerung. Und nur noch das Ende der Fussball-Tortur herbeisehnen.
Natürlich blieb in Basel die Kritik nicht aus. Später ging der damalige Basel-Trainer Christian Gross zur Abwehr über und entgegnete mit lauter Stimme: «Was wollt ihr denn? Hey, wir spielen gegen Barcelona! Das ist Barcelona.»
Jetzt kennt auch YB das heimische Europacup-Debakel
Ende November 2024 erleben die Young Boys in der Champions League etwas, das ihnen Basel bis jetzt voraushatte: eine europäische Demütigung im eigenen Stadion. Auch sie hatten in den letzten Jahren im Wankdorfstadion nicht nur Glanztaten geboten, auch sie mussten gegen starke Gegner in der Königsklasse leiden, aber das, was sich am Dienstagabend gegen Atalanta Bergamo ereignet, ist neu für Bern.
Also könnte der interimistische YB-Trainer Joël Magnin nach dem Match gegen Atalanta Bergamo kontern: «Hey, das ist Atalanta!»
Die Bergamasken sind in den letzten Jahren fast Dauergast in der Königsklasse geworden. Sie gewannen 2024 die Europa League und zerpflückten im Final Leverkusen (3:0). Sie krallen sich in der Champions League derzeit oben fest und zerlegen den bedauernswerten Schweizer Gegner in Einzelteile. 4:1 nach 40 Minuten, 5:1 nach der Pause, am Schluss 6:1.
Der Match verdeutlicht, wie ein Abend verlaufen kann, wenn ein Schweizer Team nicht seine besten Zeiten erlebt, auf Selbstsuche ist, den Faden verliert, den Mumm dazu – und auf ein Topteam aus den Topligen trifft. YB wird zertrümmert, läuft hinterher, verliert jede Statistik, sieht kaum die Platzhälfte des Gegners und muss das Spiel in einem zunächst gefüllten Stadion über sich ergehen lassen, das von einer stillen, ehrfürchtigen Geräuschkulisse erfasst wird.
YB gewinnt den ersten Zweikampf in der 80. Minute
Der Trainer Joël Magnin hält sich danach an Kleinem fest und erwähnt mit Galgenhumor, dass Atalanta das erste Tor in der diesjährigen Champions League zugelassen habe. Die Berner verlieren Zweikampf um Zweikampf und sind nur in der Startphase während ein par Minuten im Spiel. «Alan Virginius hat für uns in der ungefähr 80. Minute den ersten Zweikampf gewonnen», sagt Magnin. Was er damit sagen will: Da war nichts, von hinten bis vorne nicht. Wenig Ball- und damit noch weniger Raumgewinn, nichts.
Der 25-jährige italienische Nationalspieler Mateo Retegui wird «Retegol» genannt und ist in der Serie A im Moment der Stürmer der Stunde. 13 Spiele, 12 Tore. Bester Goalgetter. Die zwei Tore gegen YB kommen nicht aus dem Nichts. Der Spieler mit argentinischen Wurzeln kam 2024 für über 20 Millionen Euro von Genua nach Bergamo. Das zweite Tor Reteguis ist im Wankdorf Extraklasse. Ein sehenswertes Werk, innert Sekunden und wenigen Bewegungen im Strafraum mit einem gezielten Torschuss vollendet. Die YB-Verteidiger Sandro Lauper und Mohamed Ali Camara haben das Nachsehen.
Retegui führt in Italien das Torschützenklassement an. Auf dem vierten Rang ist mit 7 Toren Ademola Lookman klassiert, der in London geborene Nigerianer, der Leverkusen im Europa-League-Final fast im Alleingang erledigt hat. Lookman kommt in Bern keine Minute zum Einsatz. Auch Charles De Ketelaere bringt sich prächtig ein. Zwei Tore, plus Assists. Der Belgier wechselte einst für 36 Millionen von Brügge zur AC Milan, und jetzt für über 20 Millionen zu Atalanta. Andere Dimensionen.
YB hat keine Torschützen
Im Vergleich dazu bietet sich der Blick auf die Torschützenliste der Super League an. Die besten YB-Spieler? Weit hinten. Joël Monteiro und Silvere Ganvoula mit je 13 Einsätzen und 4 Toren. Was für eine Differenz zu Bergamo und Retegui, was für ein Kontrast zu früheren YB-Zeiten. Guillaume Hoarau und Jean-Pierre Nsame lassen grüssen.
Die zwei Welten lassen sich auch an der Person des Atalanta-Trainers Gian Piero Gasperini festmachen. Der 66-Jährige trainiert die Mannschaft seit 2016, was in der Serie A einer Ewigkeit gleichkommt. In Italien wird die Dienstdauer der Trainer in Monaten und Tagen gemessen. Gasperini ist mit über acht Jahren einsamer Serie-A-Spitzenreiter. Er wird nach der Demonstration in Bern mit Lob überhäuft und kann die Spieler seiner Mannschaft durchdeklinieren. Einer ist besser als der andere.
So üben sich die Young Boys in Demut. In besseren Zeiten hätten sie in der Champions League nicht 5 Spiele, 0 Punkte und 2:17 Tore. Letzter Tabellenplatz. In den verbleibenden drei Spielen geht’s fast nur noch um die Ehre und um weiterhin viel Geld. Gegen Atalanta sind zu viele Protagonisten unscheinbar. Sie werden vorgeführt. Letztlich offenbart sich, wie brüchig das YB-Fundament noch immer ist. «Hey, das ist Atalanta» ist nur ein Teil der Wahrheit