Damals wurde Richard Wagner gespielt, diesmal Hanns Eisler: Am Mittwoch fand in der Wiener Staatsoper ein Festakt statt, der das Schweigen beim Festakt zur Wiedereröffnung des zerbombten Opernhauses vor 70 Jahren dröhnen ließ.
Als dann endlich alle, samt Bundespräsident, Außenministerin, Wiener Bürgermeister, in Kälte und Sonnenlicht vor der Staatsoper standen, wurde ein offizieller Festakt doch noch zu einem bewegenden: Danielle Spera, ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums Wien, wurde die Rolle zuteil, die Gedenktafel einzuweihen, mit der den Opfern des Nationalsozialismus gedacht wird, die an diesem Haus tätig waren.
Davor? Gab es hier keine solche Stätte des Andenkens. Dabei, so Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, wurde in der Staatsoper gleich nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten „besonders streberhaft“ an der „Arisierung“ gearbeitet. „Mehr als 100 Personen mussten die Oper verlassen: 21 Sänger und Sängerinnen, 19 Musiker, 12 Chormitglieder, 19 Tänzerinnen und Tänzer“, zählte Spera in ihrer Rede auf. Darunter waren Berühmtheiten ihrer Zeit wie der Dirigent Bruno Walter oder der Sänger Richard Tauber, aber auch Mitglieder der Technik und der Verwaltung. Spera griff etwa das Schicksal der Sekretärin Helene Sgalitzer heraus, die 1942 im Tötungslager Maly Trostinec ermordet wurde.
Nicht nur Spera kamen die Tränen. Auch dem ehemaligen Vizekanzler Werner Kogler sah man die Betroffenheit an. Am Kopf der schweren dunklen Tafel, prominent und groß rechts neben den Haupteingängen auf der Ringseite platziert, prangt ein Relief von Käthe Kollwitz: ein Kopf, dessen Augen geschlossen sind, fast zur Gänze verborgen von den Händen in einer Geste der Trauer.
Warum die deutsche Bildhauerin, fragt man sich. Es hätte auch jüdische, österreichische Bildhauerinnen der Zeit gegeben, Anna Mahler etwa. Warum werden auf der Tafel keine Namen angeführt? Weil die 115 „verfolgten, vertriebenen, ermordeten“ Personen nur ein bisheriger Stand wären, so Roščić. Die wissenschaftliche Aufarbeitung sei noch nicht zu einem vertrauenswürdigen Ende gekommen. Ein bescheidener Vorschlag: Warum nicht ein QR-Code, der zu einer Internetseite der Staatsoper führt, auf der diese Namensliste samt Biografien gegebenenfalls ergänzt werden könnte?
Vor genau 70 Jahren, am 5. November, war die Staatsoper, von Architekt Erich Boltenstern nach massiven Bombenschäden 1945 wieder instand gesetzt, feierlich wiedereröffnet worden. Dieses Jubiläum diente dem heutigen Staatsoperndirektor nun zum Anlass dieses „Festakts“. Ansprachen von Roščić und Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die Gedenktafelenthüllung, ein neuer Aufsatzband sowie eine dokumentarische Ausstellung über die Jahre 1945 bis 1955: All dies zeigte, dass hier nicht so sehr ein Geburtstag gefeiert werden sollte, dass es mehr darum ging, der lang verdrängten „massiven Schuld“ des Hauses (Roščić) Sichtbarkeit zu verschaffen.
Genau das ist viele Jahrzehnte nicht geschehen. Unter Claus Helmut Drese begann zwar eine Neubewertung der NS-Geschichte der Staatsoper, so Roščić. Erst unter Direktor Ioan Hollaender wurde diese aber „energisch“ weitergeführt. Unter anderem mit der künstlerischen Verhüllung des Eisernen Vorhangs, mit dem nach 1945 der ehemalige NS-Künstler Rudolf Hermann Eisenmenger beauftragt worden war.
Dieses „symptomatische Verschweigen“, diese „Kontinuität“ von NS- und Nachkriegszeit zeigte sich laut Roščić ausgerechnet am Tag der Wiedereröffnung vor 70 Jahren: als das erste Mal besagter Eisenmenger-Vorhang aufging. Als der nach 1943-1945 erneut zum Staatsoperndirektor ernannte Dirigent Karl Böhm die erste Premiere am wiederaufgebauten Haus dirigierte – „Fidelio“, in der Regie von Heinz Tietjen, NS-Kulturfunktionär und von 1934 bis 1944 Leiter der Bayreuther Festspiele.
Am Vormittag des 5. November gab es übrigens auch vor 70 Jahren einen „Festakt“. Böhm dirigierte auch dort, wie ein Programmheft zeigt – es ist in der Ausstellung im Balkonumgang zu sehen, die bis Ende Jänner läuft. Er dirigierte wie schon 1936 am Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg Wagners „Meistersinger“, diesmal nur das Vorspiel. Und die „Königsfanfaren“ des (NS-vereinnahmten) Franz Schmidt.
Am Vormittag des 5. November 2025 sang Georg Nigl nur ein Stück, den Epilog der „Ernsten Gesänge“ von Hanns Eisler.
TV, Buch, Vertiefung
Mehr zur Wiedereröffnung der Staatsoper 1955 lesen Sie auf der Geschichte-Seite der kommenden Samstags-„Presse“. Die neue ORF-Dokumentation „Wiener Staatsoper – Weltbühne für Österreich“ ist in der TV-Thek abrufbar. Der Sammelband „Im Palast der Selbsterfindung“ ist im Molden-Verlag erschienen.